"Man muss nicht leiden!" - Meena Cryle im mica-Interview - mica - music austria (2024)

"Man muss nicht leiden!" - Meena Cryle im mica-Interview - mica - music austria (1)Meena Cryle ist Österreichs erfolgreichste und zugleich umtriebigste Blues-Sängerin. Mit dem mica sprach die Weltenbummlerin über Aufnahme-Sessions in Memphis und Berlin, Casting-Shows und Bescheidenheit, die man sich erarbeiten muss. Das Interview führte Markus Deisenberger.

“Das ist einfach meine Band, und es ist mit ihr einfach ein anderes Gefühl als mit anderen.”

„Try Me“, „Feel Me“, „Tell Me“, deine Album-Titel sind immer Aufforderungen. Was hat es damit auf sich?
Meena Cryle: Wir haben das erste Album aufgenommen, da war „Try Me“ der Coversong, weil eigentlich von James Brown. Durch das Spielen dieses Songs wurde mir dann klar, dass das der Titel werden muss. Vertraglich sollten drei Alben entstehen, alle mit „…Me“: „Try me“, „Feel me“ und „Tell me“. Lustigerweise haben wir uns für den dritten Titel „Tell me“ ziemlich geplagt. Wir hatten schon so Dinge wie: „Buy me“ oder „Book me“ angedacht (lacht).

Das heißt, es gibt keine Fortsetzung nach diesem Album?
Meena Cryle: Doch, schon. Ich möchte noch ein Live-Album rausbringen. Aber wie, was, wo und wann, muss ich mir noch überlegen…

Unterscheidet sich deiner Ansicht nach das aktuelle Album von den Vorgängern?
Meena Cryle: Für Chris und mich auf jeden Fall. Nämlich insofern, als es das erste Album ist, auf dem meine Band spielt, mit der ich die letzten Jahre live unterwegs war. Ursprünglich war ja geplant, wieder in Amerika aufzunehmen. Und ich habe mich dort auch mit Studio-Leuten getroffen, aber die waren nicht begeistert von meinen Musikern. Schon klar: Die wollen immer mit ihren eigenen Studiomusikern arbeiten. Auch die Plattenfirma wollte mitreden.
Ich habe dann aber dazu entschlossen, dass ich definitiv meine Band haben will und deshalb in Berlin aufgenommen. Mit Raphael Tschernuth, unserem Produzenten und langjährigen Freund – ein Junger, der vollkommen frei vom „Genre-Denken“. ist All das hat dieses Album sehr speziell für mich gemacht.

Jetzt sind Session-Musiker aus Memphis auch nicht gerade als Nieten verschrien. Wieso dann doch mit deiner Live-Band?
Meena Cryle: Chris, Marlene und Franky waren mit mir die letzten zwei Jahre lang auf Tour. Wir waren gemeinsam in Amerika bei der Blues-Challenge, in Polen, sind kreuz und quer durch die Welt gereist, und mit der Zeit sind so auch die Songs entstanden. Das ist einfach meine Band, und es ist mit ihr einfach ein anderes Gefühl als mit anderen. Ich würde gar nicht sagen, dass das an der Freundschaft liegt, sondern daran, dass wir einfach sehr zusammengeschweißt und aufeinander eingespielt sind.

"Man muss nicht leiden!" - Meena Cryle im mica-Interview - mica - music austria (2)Worin besteht der Unterschied zwischen Aufnahmen in Memphis und in Berlin?
Meena Cryle: Memphis war ein Highlight. Als Österreicher in den USA aufzunehmen, ist einfach etwas Tolles und der Traum jedes Musikers. Wir spielen gerne in Amerika und nehmen auch super gerne dort auf. Wir kommen dort gut an. Das funktioniert alles gut für uns, aber es ist halt zäh, die ganze Band rüber zu bringen. Es kostet wahnsinnig viel Geld und ist sehr zeitaufwendig. Allein die Arbeitsgenehmigungen für alle zu kriegen… Berlin war da organisatorisch weitaus leichter. Wir konnten alles sehr entspannt angehen, ohne großen Vorbereitungsstress. Du musst Dir vorstellen: Wir hatten in Amerika ja immer nur maximal sieben Tage Zeit. Davon recorden wir drei Tage, zwei Tage wird gemischt und dann muss das Ding fertig sein. Und genau das wollte ich dieses Mal einfach nicht. Wir haben uns zwar auch in Berlin eine Deadline gesetzt, weil man sonst fünf Jahre mischt, aber es war insgesamt viel entspannter.

“Eine Band aus Österreich ist für viele natürlich allein schon deshalb sehr interessant, weil viele nicht wissen, wo Österreich überhaupt liegt.”

Ist das Publikum in den USA anderes? Wie kommt die Musik österreichischer Blueser dort an?
Meena Cryle: Es kommen wahnsinnig viele Leute. Junge Leute, alte Leute. Es ist viel breit gefächerter. Eine Band aus Österreich ist für viele natürlich allein schon deshalb sehr interessant, weil viele nicht wissen, wo Österreich überhaupt liegt. Die Band aus den Alpen, die Blues macht…. Und dann gefällt es ihnen – vor allem, weil wir ja wirklich Musik machen können und was drauf haben. Das taugt ihnen. Natürlich hätte das auch vollkommen nach hinten losgehen können. Ist es aber nicht. Es hat gepasst.

Wie wichtig ist es überhaupt noch, ein Album aufzunehmen? Braucht eine Live-Band, wie ihr das seid, überhaupt noch solch eine Visitenkarte?
Meena Cryle: In dem Genre, in dem wir uns bewegen, braucht man CDs, weil die Leute, die zu unseren Konzerten kommen, CDs haben wollen. Das meiste Geld machen wir mit dem Verkauf von CDs bei den Konzerten. Nicht übers Internet, sondern wirklich direkt bei den Konzerten. Die Gäste stehen teilweise Schlange, vor allem, wenn wir die Alben persönlich signieren.

„Ich nehme jeden mit, der mit mir auf die Reise gehen will“, hast du einmal über das Live-Spielen gesagt. Was erlebt man auf solch einer Reise?

Meena Cryle: Das ist schwer zu sagen, weil das individuell sehr verschieden ist, denke ich. Ich registriere das Publikum natürlich, wenn ich singe, aber nicht in einem so starken Ausmaß. Aber wenn ich dann in die Gesichter schaue, merke ich, dass bei vielen gerade etwas abgeht. Jeder hat da seinen eigenen Zugang. Es gibt Leute, die zu Tränen gerührt sind oder sich total inspiriert fühlen. Manchmal sind aber auch finstere Mienen dabei. Da stehen oft sehr emotionale Geschichten dahinter.

Muss man heutzutage immer noch der nach dem Klischee leidende, am eigenen Leben gescheiterte Blues-Musiker sein oder kann man auch als als junger, lebhafter Mensch erfolgreich sein? Es gibt ja auch einige äußerst erfolgreiche junge Blueser wie etwa Joe Bonamassa.
Meena Cryle: Ich denke das Klischee gibt es immer noch. Schon allein, ob Musiker männlich oder weiblich sind. In Amerika würde niemand zu dir kommen und sagen: „Du hast den Blues nicht!“ Never ever. Das ist eher ein europäisches Ding. Ich habe es schon öfter erlebt, dass Veranstalter sagen: „Wenn du schwarz und aus Amerika wärst, würdest du nicht um 17 Uhr spielen, sondern um 21 Uhr. Das, was du darstellst, kann man nicht verkaufen, da kommen keine Leute.“ Das passiert zwar nicht so oft, aber doch hin und wieder. Bonamassa finde ich zwar gut, ein wirklich guter Gitarrist, aber die Story rundherum, mit seinem Vater, der massiv Geld in die PR steckt, gefällt mir nicht so gut.

„Muss ich das wirklich?”

Inwiefern?
Meena Cryle: Er hat einen superreichen Vater und eine mega PR-Maschinerie. So funktioniert das heutzutage einfach.
Aber man muss nicht leiden. Jeder Mensch kann Blues singen. Jeder hat doch Erfahrungen und Stimmungen. Aber ich finde, man muss sich den Weg schon erarbeiten müssen. Das schadet sicher nicht. Das macht die Leute bescheidener.

Du bist weit über österreichische Grenzen hinaus bekannt. Glaubst du, dass die Wertschätzung, die du hierzulande erfährst, angemessen ist? Ist sie mehr als du dir jemals erhofft hast? Oder könnte es besser sein?
Meena Cryle: Spannende Frage. Wir sind mit dem dritten Album gerade an einem Punkt angelangt, wo ich mir genau diese Fragen stelle. Reicht das alles eigentlich?
Meine Managerin hat mich neulich angerufen wegen der Großen Chance und The Voice of Germany. Thomas Rabitsch hat mich für diese Sendung vorgeschlagen. Das ehrt mich einerseits. Aber, was ich unmöglich finde, ist: Bei diesen Casting-Shows gibt es Tickets für Quereinsteiger, damit man sich nicht mit den ganzen Teenies anstellen muss. Jetzt hat mich wieder Eberhard Forcher für die Große Chance vorgeschlagen – übrigens der einzige bei Ö3, der unsere Songs auch spielt. Wieder meinte meine Managerin: „Das musst du jetzt machen!“ Und ich frage mich: „Muss ich das wirklich? Ist das in Österreich wirklich der einzige Weg, zu einem Fernsehauftritt zu kommen und bekannter zu werden?“ Damals, als Christina Stürmer durch so eine Show groß wurde, habe ich es einmal versucht. Da wurde mir aber gesagt, dass das nichts für mich sei. Ich gehöre in einen Club, hieß es.

Bei „The Voice of Germany“ gewann neulich mit Andreas Kümmert aber doch eine Soul/Blues-Röhre nach deinem Geschmack, oder?
Meena Cryle: Der war sehr gut, keine Frage. Aber was hat er gewonnen? Eine Tour mit den drei Bestplatzierten der Show und nicht mit seiner Band, nicht mit den Leuten, mit denen er eigentlich Musik macht. Ich will so etwas einfach nicht und schon gar keinen Knebelvertrag, der damit wahrscheinlich verbunden ist. Ich finde auch das System dahinter, das manche bevorzugt, die nicht alle Castings durchlaufen müssen, eine Frechheit.

Hast du den heurigen Amadeus Award mitverfolgt?
Meena Cryle: Ja. Wir waren im letzten Jahr nominiert.

Wie findest Du die Genre-Zusammenlegung in Jazz/World/Blues?
Meena Cryle: Nicht gut. Andererseits gibt es, was ich weiß, in Deutschland nicht einmal so etwas.

Wie hast Du den Rücktritt der Bands erlebt, die sich nicht gut repräsentiert sahen oder andere Probleme mit dem Veranstalter hatten?
Meena Cryle: Es ist schon so ein bisschen ein österreichisches Phänomen, dass man immer alles schlecht machen muss. Man macht sich dadurch ja auch selber schlecht. Da wird einerseits gejammert, dass es in Österreich nichts gibt und dann macht man das, was es eben gibt, kaputt – anstatt zu schauen, was man vielleicht ändern und verbessern könnte.

“Aber gleichzeitig kann ich ohne die Musik nicht leben.”

Wie bist du zum Blues gekommen bzw. zum Singen? Sind das zwei verschiedene Geschichten?
Meena Cryle: Das eine greift ins andere über. Ich bin am Land aufgewachsen, und wenn wir unserer Mutter bei der Arbeit geholfen haben, hat sie immer mit uns gesungen. So typische Gstanzln vom Land. Das war für mich also normal, miteinander zu singen und nichts, was man lernen muss. Ich habe erst wieder kürzlich Sachen angehört, die ich mit 14, 15 Jahren gemeinsam mit Chris aufgenommen habe. Das war keinesfalls Blues. Ich weiß heute gar nicht, was das war.

Welche Musik hat dich damals beeinflusst?
Meena Cryle: Was mich, ohne das ich das so richtig wollte, beeinflusst hat, waren die Sachen, die mein Vater zu dieser Zeit gehört hat: Die Bambies und andere alte Schlager. Mein Bruder hingegen hatte damals viele Jazzplatten. Er hat mir einmal eine LP geschenkt, auf der auch Hendrix drauf war. Hendrix hat mir von Anfang an gut gefallen. Dann kamen musikalisch die 1960er Jahre, die mich auch beeinflusst haben. Die Musik habe ich stundenlang rauf und runter gehört.
Der Blues ist aber ganz sicher durch Chris gekommen. Ich bin, was das Blues-Jazz-Genre betrifft, kein wandelndes Lexikon. Ich kann nicht immer genau sagen, wer wann mit wem welches Album wo aufgenommen hat. Das macht der Chris. Der kennt sich da aus und weiß alles.

"Man muss nicht leiden!" - Meena Cryle im mica-Interview - mica - music austria (3)Wie bist du eigentlich zu Chris Fillmore gekommen?
Meena Cryle: Chris und ich haben beide in Braunau am Inn gewohnt. Wir sind dann immer gemeinsam mit dem Zug ins Oberstufengymnasium gefahren und so haben wir uns kennengelernt. Irgendwann hatten wir dann beide eine Gitarre, und kurz darauf sind wir dann auch aufeinander abgefahren. Wir waren ja zehn Jahre lang ein Paar. Er hatte schon eine Band und hat mich dann gefragt, ob ich in dieser Band nicht singen wolle.

Und nach der Trennung trotzdem noch gemeinsam Musik zu machen, hat funktioniert?

Meena Cryle: Das hat funktioniert, ja. Es hat mehr Vorteile für uns als Nachteile. Wir verstehen uns total gut, und kennen uns einfach wahnsinnig lang. Chris ist immer noch mein bester Freund. Mit fünfzehn sind wir ein Paar geworden und mit sechzehn zusammengezogen. Beide hatten wir Probleme zuhause. Wir haben uns gefunden und waren damals einfach die Familie füreinander. Heute ist Chris für mich wie ein Bruder. Ich werde mich immer um ihn kümmern und er umgekehrt genauso um mich.

“Mein Image ist angeblich das der starken Frau, die sich nichts „scheißt“ und emotional ist.”

Gibt es in Deutschland eine größere Bluesszene als in Österreich?
Meena Cryle: Ja, auf jeden Fall. Das merkt man auch. Da gibt es mehr Leute, und die Szene ist viel größer. Wir sind aber auch bei einer deutschen Plattenfirma unter Vertrag, und das macht schon auch etwas aus.

Du machst das jetzt schon zwanzig Jahre. Denkt man sich trotz nationaler und internationaler Erfolge nicht auch manchmal: Ich hau den Hut drauf. Es reicht jetzt.

Meena Cryle: Es gibt schon so Phasen, wo wir mitten in der Nacht heimkommen, ich das ganze Equipment schleppen muss und das vielleicht für 100 Euro, weil ich ja auch meine Musiker zahlen muss, und zeitgleich vom Management gedrängt wurde, quasi eine Conchita Wurst zu werden. Da denke ich mir schon manchmal, dass es an der Zeit wäre… Aber gleichzeitig kann ich ohne die Musik nicht leben. Zuletzt hatten wir in Deutschland drei echt gute Konzerte. Nach solchen Auftritten weiß ich einfach, wieso ich das mache und dass ich es einfach brauche.

Aber Abnutzungserscheinungen gibt es?
Meena Cryle: Ja. Aber ich überlege mir, was wir tun können, damit wir es ein bisschen einfacher haben, zum Beispiel mal eine Duo-CD aufzunehmen oder mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten, um auch ein anderes Publikum anzusprechen. Vielleicht mal jüngere Leute. Wenn ich aber so darüber nachdenke, wo wir schon überall gespielt haben und was wir schon alles aufgenommen und erlebt haben, dürfen wir uns nicht beschweren. Wir haben in unserem Genre mit unserer Musik schon wirklich etwas erreicht.

Wie siehst Du Dein Image?
Meena Cryle: Ich will einfach ich sein, wenn ich auf die Bühne gehe und das ist oft so ein bisschen ein Problem, weil nach wie vor in der Musikszene, viel über Optik und Aussehen geht.

Gibt es nicht die Möglichkeit, sich ein Image anzueignen ohne sich zu verbiegen?
Meena Cryle: Wir haben neulich eine Imageumfrage gemacht unter Fans und Freunden und auch Bekannten. Mein Image ist angeblich das der starken Frau, die sich nichts „scheißt“ und emotional ist. Das reicht aber nicht. Es muss freakiger sein, sonst interessieren sich die Medien einfach nicht dafür. Verstehst Du? Wir sind eine nette Band und ich bin eine nette, starke Frau, aber so schaffst du es nicht in die Zeitungen.

Ist das nicht frustrierend?
Meena Cryle: Nein, ganz und gar nicht. Es schlagen da irgendwie zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits bin ich ein gnadenloser Realist und andererseits habe ich große Visionen. Realistisch ist es, 100 Konzerte im Jahr zu spielen. Eine Vision wäre es, so 7 oder 8 Monate im Jahr vollgas durchzutouren. Auf der ganzen Welt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

Foto 1 & 3: Johannes Wahl

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